Vor einigen Jahren war ich in Österreich auf meinem ersten Mitteldistanzrennen. Eine Woche vor dem Rennen hatte man die Möglichkeit vor Ort auch zu trainieren. Wir standen mit unseren Wohnmobilen auf einer Wiese hinter einem Gasthof in einer Ecke des Tals, wohin die Sonne fast niemals schien. Ganze 20 Minuten am Tag stand die Sonne so hoch, dass sie über die Bergspitzen kam und ein wenig die Finsternis erhellte, die uns umgab.
Es war richtig kalt ab dem ersten Tag. Minus 24- Minus 18 Grad am Tag und nachts fiel das Thermometer auf 30 Grad unter Null. Die Standheizung in meinem Wohnmobil lief ununterbrochen. Meine Nachbarn ein Wohnwagen weiter hatten keine Standheizung. V. ein ganz harter Hund hatte mir schon im Herbst von seinen Absichten dieses Rennen zu fahren berichtet. Auf meine Frage hin, ob sein Auto denn winterfest sei, erklärte er, dass er eine Gasflasche mit einem Heizaufsatz hätte. Damit würde er "zwischenheizen". Das mit dem Beheizen des Multivans stellte sich dann als nicht realisierbar heraus und so sassen er und seine Freundin bei knackigen Minusgraden in einem ungeheizten Auto. Nach der ersten Nacht waren sämtliche Getränke und die ersten Nahrungsmittel bretthart gefroren. Ich beobachtete E., die Freundin von V, dabei, wie sie tiefgefrorene Eier pellte, dann in Scheiben schnitt um sie anschliessend zu braten. Das Geschirr spülte sie draussen: nachdem sie das Spülmittel in der Spülschüssel mit kochendem Wasser aufgetaut hatte.
Nach 2 Tagen waren Marmelade und Konserven durchgefroren und es bildeten sich an der Decke des Multivans die ersten Eiszapfen. E. brachte mir ausserdem morgens ihre hartgefrorene Bettdecke zum Auftauen. Ihre Getränke hatten sie inzwischen bei unseren Nachbarn im Wohnwagen deponiert. Wenn man grosser Kälte ausgesetzt ist und so gar nicht mehr warm kriegt, wird man grantig. Infolgedessen beobachtete ich V. mal eines Abends als er mit grossen Schritten quer über den Stake-out marschierte, einen Musherkollegen am Hals holte und ihm Prügel androhte.
Freitags, einen Tag vor dem Rennen, als ich gerade bei meinen Nachbarn vorm Wohnwagen stand, kam E. zu mir und bat mich um einen Gefallen. Sie hatte ein Nutellaglas unter den Arm geklemmt, das nach 4 Tagen endlich durchgefroren war. Es handelte sich dabei um das Euroeinführungsglas. Eine Sonderedition von Nutella mit einem Inhalt von 1,95 Kilo. Sie bat mich das Glas in mein Wohnmobil stellen zu dürfen, damit es etwas auftaut. Ich sagte ihr, dass die Tür vom Wohnmobil offen steht und dass sie es einfach auf die Ablage neben dem Herd am Fenster stellen soll.
Etwa eine halbe Stunde später wollte ich mich zum Aufwärmen in mein Wohnmobil setzen. Ich zog die seitliche Schiebetür auf, guckte kurz ins Innere des Wohnmobils und lies die Tür grad wieder zufallen.
Dann zog ich die Tür noch mal auf.
Auf dem Rücksitz des Wohnmobils sass mein erster Husky, das 1,95 Kiloglas Nutella zwischen den Pfoten. Er schaute mich an als wollte er sagen "Hey, Tür zu, ich ess grad..."
Deutlich war der Abdruck der Glasöffnung um seine Augen und Nase zu sehen. Der an sich schwarz-weisse Hund war braun und zwar von oben bis unten. Ebenso der Sitz auf dem er sass. Vor dem Sitz die beiden Hündinnen, die interessiert zuschauten. Auf dem Boden lag der Deckel - unversehrt.
Jetzt konnte ich erst mal brüllen. Der Hund schaute mich tranig an. Ich nahm ihm das Glas ab und traute meinen Augen kaum: Von den 1,95 Kilo war noch genau 1 Finger breit Nutella im Glas übrig.
Mir schossen tausend Gedanken in den Kopf. Nutella ist das pure Fett, das wär nicht so das Problem, denn Fett ist bei diesen Temperaturen nie verkehrt, aber die ganzen Nüsse, der Zucker, das Fett, die Nüsse....!!
Jetzt musste ich erst mal E. beichten, was der Hund angerichtet hatte. Schliesslich hatte der gerade das Frühstück für die nächsten Tage vernichtet. E. kriegte einen infernalischen Lachkrampf. V. machte sich direkt Sorgen: "Brudaal. Der scheisst der heid Naacht scheee die Box voll."
Ja,...den Gedanken hatte ich auch schon. Ich hatte aber eher Angst, dass sich der Hund vergiftet hat.
Ich behielt den Hund also im Auge und ärgerte mich dunkelgrün, dass ich vergessen hatte, dass die Hunde zum Auftauen im Wohnmobil gewesen waren. E. hatte das Glas ordnungsgemäss verstaut und sogar hinter den Bändern für die Vorhänge eingeklemmt. Der Hund muss es darunter rausgeangelt und dann den Deckel abgeschraubt haben. Ich machte mir jetzt auch Gedanken, ob ich den Hund am nächsten Tag überhaupt würde einspannen können. Wir wollten ein Rennen über 33 Kilometer und 1700 Höhenmeter fahren....
Am nächsten Morgen holte ich den Hund sehr vorsichtig aus seiner Box. Die Box präsentierte sich in einem einwandfrei zugesch***enen Zustand. Der Hund guckte zwar genervt, wirkte aber munter.
Unsere Startzeit kam und ich beschloss einzuspannen. Ich hatte nur die 3 Hunde zur Verfügung also entweder einspannen und schauen, ob es geht oder zuhause bleiben.
Die ersten Kilometer liefen dann auch ganz gut. Wir fuhren einige Schleifen im Tal bevor es in den Berg gehen sollte. Nach einiger Zeit sah ich die beiden Teams, die vor mir gestartet waren vor mir. Meine Hunde beschleunigten jetzt natürlich, auch der Nutellafresser. Als ich kurz davor war zum Überholen anzusetzen, bremste DER Hund, setzte sich hin und schien zu explodieren. Hinter ihm breitete sich eine enorme braun-orangefarbene Pfütze aus, die nicht besonders gut roch und extrem flüssig war. Auf dem weissen Schnee sah das aus, als hätte jemand einen braunen Farbbeutel geworfen. Der Hund schüttelte sich und wir fuhren weiter. Ich fuhr wieder auf die beiden vor mir auf und als ich überholen wollte, bremste DER Hund, hockte sich hin und explodierte ein zweites Mal, dieses Mal mit passendem Geräusch. Inzwischen schauten die beiden Hündinnen, die vor dem Nutellafresser liefen genervt, bremste er sie doch dauernd aus.
Wir fuhren weiter. Bis wir im Berg waren, wiederholte sich das Spielchen noch 3 Mal weswegen ich an den beiden Teams vor mir natürlich nicht vorbei kam und auch den Anschluss verlor.
Als wir im Berg waren ging es auf einem schmalen Trail, der gerade mal Schlittenbreite hatte, aufwärts. Der Nutellafresser hatte sich inzwischen zwar ausgesch***en, war aber aufgrund des ganzen Flüssigkeitsverlusts fertig mit der Welt. Er trottete nur noch und ich fing an mir richtig Sorgen zu machen. Da ich ständig anhalten musste und dazwischen auch kaum vom Fleck kam überholten mich nach und nach andere Teams. Als DER Hund nicht mehr weiterlaufen wollte, stand ich genau in einer Serpentine. Ich warf den Anker und wollte den Hund in den Schlittensack packen. Das wollte der Hund aber nicht. Er wehrte sich mit allem was er hatte. Er strampelte und wenn ich 2 Beine gerade eingepackt hatte, hingen schon wieder 2 raus. Wenn der Kopf drin war hing der Hintern raus, waren Kopf und Hintern drin, hingen die Beine raus. Ich verlor langsam die Nerven fluchte und schickte Stossgebete zum Himmel. Was musste ausgerechnet mir das passieren. Ein Team nach dem anderen fuhr vorbei und dieser Hund wollte einfach nicht in den Sack. Als einer der Tschechen mit seinem 8er Grönlandshundegespann an mir vorbeifuhr überlegte sich der Hund, die doch einfach mal anzumachen. Er wollte sich auf das Gespann stürzen und knurrte, dass es einem durch Mark und Bein ging. Grönlandshunde sind gegenüber Artgenossen mitunter sehr aggressiv und machen keine Gefangenen wenn es gilt. Ich wusste das und jetzt pöbelte dieser Hund, der nicht mehr laufen wollte, genau 8 von diesen Hunden an. Ich hab getobt und gebrüllt, geschwitzt wie ein Braten und am liebsten hät ich vor lauter Wut geheult. Mein erstes richtiges Rennen und dann sowas. Dann sah ich, dass eine der Verankerungen der Handlebar (dem Griff zum Festhalten am Schlitten) gebrochen war. Jetzt wollte mich hinsetzen und einfach sitzenbleiben bis zum nächsten Sommer..
Plötzlich kamen Freunde von mir um die Ecke. Sie hatten an der weiter oben liegenden Teestation, wo sie gewartet hatten um Bilder zu machen, gehört, dass ich Probleme hatte. Mit einem Schnürsenkel flickten wir zunächst den Schlitten, dann nahm A. den Hund mit. A war Tierarzthelferin und versprach sich gut um den Nutellafresser zu kümmern. Ich fuhr mit 2 Hunden weiter.
Fast 5 Stunden nach dem Start kam ich als Letzte ins Ziel. Ich war so fertig, dass ich hätte heulen können. Unterwegs zum Ziel hätte mich noch fast das Filmteam, das beim Rennen dabei war um ein Haar wieder mit ins Tal gerissen. Ein Mitglied der Crew war ausgerechnet an der steilsten Stelle der Strecke ausgerutscht und auf dem Hintern sitzend auf mein Team zugeschossen. Im letzten Moment konnte er sich auf die Seite werfen und mir ausweichen.
Epilog: Der Nutellafresser war von A. ins Auto verfrachtet worden, wo er sich sofort einrollte und ruhig verhielt. A sagte, man hätte fast denken können, dass er sich ein bisschen schämt.
Auf dem Stake-out angekommen bekam er direkt eine Elektrolytlösung, denn durch den enormen Wasserverlust war der Hund ziemlich ausgetrocknet. Als ich später auch zum Stake-out kam, war der Nutellafresser bereits bester Laune und hungrig. Wie ich weiss wird diese Geschichte heute noch nicht nur auf diesem, sondern auf vielen anderen Rennen erzählt....
Die Besitzerin des Nutellaglases hat sich lange Vorwürfe gemacht, weil sie ja eigentlich schuld an dem ganzen Drama gewesen ist. Ich hab ihr das aber nie vorgehalten. Dinge passieren. Mit Huskys sowieso.
Der Nutellafresser ist übrigens 2 Jahre später dieses Rennen noch mal gelaufen und wir kamen in einer ordentlichen Zeit ins Ziel. Darüber werde ich ein anderes Mal berichten....
PS: Was wir bei diesem Rennen ausserdem gelernt haben: Bei Minus 30 Grad friert so ziemlich alles bretthart zusammen - mit zwei Ausnahmen: das Brioche und die Frischeiwaffeln von Aldi Süd trotzen diesen Temperaturen und bleiben auch nach Tagen unter Minus 20 Grad noch weich und verzehrfähig. Mir hat das zu Denken gegeben.....
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